Deutschland: Die Aussichten der deutschen Verteidigung nach der Großen Koalition

(Di Federico Castiglioni)
09/02/18

Es scheint, dass in den letzten vierundzwanzig Stunden eine Pattsituation vermieden werden konnte, die sich als eine der zerstörerischsten in der deutschen Geschichte der letzten zwanzig Jahre erweisen könnte. Nach langen und komplizierten Gesprächen zwischen der CDU, der konservativen Partei von Angela Merkel, und den Sozialisten der SPD unter der Führung des ehemaligen Präsidenten des Europäischen Parlaments Martin Schulz wurde in einigen programmatischen Punkten ausreichend Konsens für die Schaffung einer neuen Exekutive Berlin erzielt. Wieder einmal scheint es, dass die CDU eine „Große Koalition“ mit der Linken führen wird, ein Regierungsmodell, das seit 2005 fast ununterbrochen besteht (tatsächlich wurde die SPD einige Jahre lang von den Liberalen abgelöst). Einer der kontroversen Punkte dieser Gespräche, der von vielen Kommentatoren als eines der Haupthindernisse für eine neue Vereinbarung zwischen den beiden Parteien angesehen wurde, war genau die strategische Richtung, die die deutsche Verteidigung einschlagen sollte.

Tatsächlich befand sich die letzte Merkel-Regierung in den letzten Jahren immer wieder in einer Pattsituation, im Zentrum zweier Konflikte: Einerseits stehen die Sozialisten der SPD, die wie erwähnt bereits die Vorgängerregierung unterstützten, historisch dagegen Neu für die Verteidigung und neue Militäreinsätze im Ausland sehen daher tendenziell eine minimalistische Rolle für Deutschland, wenn es um Sicherheit geht; Andererseits fordern internationale Partner, insbesondere die NATO und die Vereinigten Staaten, seit mehr als einem Jahrzehnt eindringlich, dass Deutschland mehr zur internationalen Sicherheit beiträgt, sowohl durch eine Erhöhung des Budgets für die Bundeswehr als auch durch die Genehmigung neuer Friedenseinsätze in den heißesten Szenarien des Planeten. Im vergangenen Juli veröffentlichte das Verteidigungsministerium eine WHITE PAPER was die Notwendigkeit signalisierte, das gesamte deutsche Sicherheitssystem zu überdenken. Es gab drei heiße Fronten: Russland und seine aggressive Haltung auf der Krim und gegenüber den baltischen Staaten, ein besonders heikles Thema für die NATO; Afrika und der asymmetrische Krieg gegen den Terrorismus, wichtig für die Migrationsfrage und damit vor allem für die Europäer; die institutionelle Architektur der EU und neue Entwicklungen im Hinblick auf eine verstärkte Zusammenarbeit, insbesondere und mögliche Auswirkungen auf die deutschen Exporte. Vor dem Hintergrund dieses Dokuments stand die mehrfach betonte Notwendigkeit einer Rückkehr Deutschlands und seiner Nachbarschaft in die internationale Politik. Dieser Wunsch nach mehr Engagement war in Mitteleuropa darüber hinaus bereits zwischen 2014 und 2015 deutlich spürbar, als die Bundeswehr mehrere Mini-Ausbildungs- und Führungsabkommen mit Polen, den Niederlanden und der Tschechischen Republik unterzeichnete.

Der Wahlkampf in diesem Herbst verdeutlichte die Differenzen innerhalb der „Großen Koalition“, die Deutschland in den vergangenen Jahren regierte. Einer der Hauptpunkte des sozialistischen Kandidaten Schulz war beispielsweise, die Möglichkeit einer Erhöhung des Militärhaushalts für die nächsten fünf Jahre kategorisch auszuschließen, während Angela Merkel im Gegenteil vorgeschlagen hatte, das Ziel von 2 % der Verteidigungsausgaben zu erreichen BIP (von der NATO geforderter Mindeststandard) bis 2024. Eine solche Steigerung würde bedeuten, dass in den kommenden Jahren zusätzliche 24 Milliarden Euro für die Bundeswehr bereitgestellt würden, was angesichts des seit 2010 anhaltenden Wirtschaftswachstums in Berlin durchaus möglich ist Laut Wirtschaftsminister Gabriel, der der sozialistischen Fraktion der ehemaligen Koalitionsregierung angehört, hätten diese Mittel für den öffentlichen Wohnungsbau bereitgestellt werden sollen, was in einem Land wie Deutschland, in dem niedrige Löhne keine Ziegelinvestitionen zulassen, immer notwendiger wird. Zwei völlig unterschiedliche Ideen, wie man den in den letzten Jahren angesammelten „Schatz“ ausgeben soll.

Der Unterschied zwischen Konservativen und Sozialisten in Verteidigungsfragen liegt jedoch nicht nur an den Ressourcen, sondern auch und vielleicht vor allem an der breit angelegten Strategie. Traditionell ist die CDU sensibler gegenüber den „atlantischen“ Zielen des Bündnisses und daher sehr anfällig für Anfragen aus dem Ausland. Beispielsweise beschloss die Regierung Merkel im Jahr 2015, der NATO nachzugeben, indem sie fast tausend Männer für die NATO nach Afghanistan schickte Resolute Support Mission Früher Damit ist das deutsche Kontingent derzeit das drittgrößte im asiatischen Land, unmittelbar nach dem italienischen. Sogar Merkels überzeugte Kampagne, die von Obama und Trump geforderten Verteidigungsinvestitionen von 2 % zu erreichen, spiegelt diese Neigung zum atlantischen Dialog wider. Im Gegenteil, die Sozialisten standen dem Bündnis und der amerikanischen Rolle in Europa immer sehr kritisch gegenüber.

Im Wahlkampf hatte Kandidat Schulz den vollständigen Abzug der US-Atomwaffen aus deutschem Gebiet gefordert, ein Vorschlag, der angesichts der angespannten Lage in Osteuropa offenbar ein Damoklesschwert in den Beziehungen zwischen Washington und Berlin sein könnte. Andererseits haben die deutschen Sozialdemokraten hart daran gearbeitet, eine Einigung über eine verstärkte Zusammenarbeit in der europäischen Verteidigung zu erzielen, und auch – wiederum durch ihren Vorsitzenden Martin Schulz – gehofft, dass in ein paar Jahren ein einheitliches Verteidigungsministerium erreicht werden kann. Die CDU war in dieser Frage immer sehr vorsichtig und teilweise auch skeptisch. Man muss bedenken, dass die Frage der Bündnisse für Deutschland viel sensibler und heikler ist als für seine europäischen Partner wie Frankreich oder Italien. Tatsächlich ist es nach deutschem Recht, das nach dem Zweiten Weltkrieg erlassen wurde, für Berlin nicht möglich, nicht nur militärische Einsätze im Ausland durchzuführen, sondern auch einfach einzugreifen, beispielsweise mit einem logistischen Beitrag, wenn ein Rahmen internationaler Legitimität nicht klar umrissen ist für die Operation. In Ermangelung eines Aktivismus der Vereinten Nationen in den letzten Jahren stellen die beiden Bündnisse den Legitimitätsrahmen dar, innerhalb dessen sich die deutsche Politik bewegen kann, um ihre internationale Rolle zurückzugewinnen.

Die Gespräche der letzten Tage scheinen einen Kompromiss zwischen diesen unterschiedlichen Prioritäten und strategischen Visionen gefunden zu haben. Die Verteidigungsfrage war tatsächlich leichter zu lösen als erwartet, insbesondere im Vergleich zu anderen (die zentralen Fragen, die sich aus den Gesprächen zwischen den Staats- und Regierungschefs ergaben und noch endgültig geklärt werden müssen, betreffen die Migrationspolitik und den heiklen Vorschlag von Präsident Macron, ein europäisches Finanzwesen zu schaffen). Ministerium). Das Ergebnis des Kompromisses ist ein gemeinsames Dokument, das der SPD-Versammlung zusammen mit einem Paket von Vorschlägen vorgelegt wird, auf denen die künftige Koalition aufgebaut werden soll. Der Text skizziert einige, aber klare Prioritäten für die kommenden Jahre:

1) Afrika. Die Migrationsfrage einerseits und die Zusammenarbeit mit Frankreich andererseits drängen Deutschland immer mehr dazu, sich für Westafrika zu interessieren. Seit 2012 sind deutsche Soldaten im Rahmen der europäischen Ausbildungsmission EUTM in Mali präsent. Nach der französischen Intervention im Land im Jahr 2014 mit der Barkhane-Operation versucht Frankreich zunehmend, die Krise zu internationalisieren, indem es die Vereinten Nationen, die Europäische Union und die Afrikanische Union in die MINUSBA-Mission einbezieht. Seit letztem Jahr hat der Deutsche Bundestag die Entsendung weiterer neunhundert Männer, Drohnen und Hubschrauber in die Westsahara genehmigt.

2) Respektieren Sie die 2 %. Einer der größten Erfolge der Merkel-Linie scheint darin bestanden zu haben, die Sozialisten davon zu überzeugen, die NATO-Verpflichtungen einzuhalten. Diese Mittel fließen in die Neuausrüstung der Bundeswehr und in Forschungsinvestitionen. Diese Wahl scheint intelligent und strategisch zu sein. Wenn es tatsächlich zu einer stärkeren Standardisierung der Rüstung und einheitlichen europäischen Aufträgen kommt, auch dank der von Brüssel bereitgestellten Mittel, würden höhere Forschungsausgaben es deutschen Unternehmen ermöglichen, weit fortgeschrittenere Projekte vorzulegen als ihre Konkurrenten. Auf diese Weise könnten die erhöhten Ausgaben sowohl dazu dienen, Washington zu besänftigen als auch Berlins Position auf dem Kontinent zu stärken.

3) Weniger deutsche Waffen. Eines der Probleme, die in den Gesprächen der letzten Tage auftauchten, war der Export deutscher Waffen ins Ausland. Deutschland exportiert verschiedene Arten von Waffen, insbesondere leichte automatische und halbautomatische Waffen, in Brennpunkte wie den Jemen. Allerdings ist dieser Markt nichts im Vergleich zu dem der schweren Waffen. Der Verkauf deutscher Artilleriegeschütze und Raketen an Saudi-Arabien und Ägypten hat sich in den letzten zwei Jahren aufgrund der Kriege im Jemen, der Spannungen zwischen Ägypten und Sudan und der allgemeinen und bekannten Instabilität in der Region verfünffacht. Die Merkel-Regierung hatte Ryhads Interesse am Kauf von Leopard 2 für „Grenzstabilisierungsmissionen“ bereits Anfang 2017 zurückgewiesen. Die beiden Koalitionsparteien scheinen beschlossen zu haben, Waffenverkäufe an Länder, die direkt an der humanitären Katastrophe im Jemen beteiligt sind, dauerhaft auszusetzen. Mit dieser Entscheidung wird wahrscheinlich der Zeitpunkt vorweggenommen, an dem eine europäische Position zu diesem Thema eingenommen werden muss. Seit einem Jahr übt das Europäische Parlament Druck auf die nationalen Regierungen aus, eine entschiedenere Haltung einzunehmen1. Die deutsche Embargoentscheidung würde den norwegischen, belgischen und französischen folgen.

4) Weitere israelische Drohnen. Noch in der ethischen Frage: Die Bundesregierung steht seit mehreren Jahren unter Druck, weil sie eine Flotte von US-Drohnen kaufen will, die laut mehreren Kommentatoren sehr ungenau und daher aufgrund möglicher Nebenwirkungen gefährlich sind. Aus diesem Grund hat Berlin seit letztem Sommer ein wachsendes Interesse an israelischen Heron TP-Drohnen entwickelt, die als präziser und effizienter gelten als die amerikanischen. Die USA, die derzeit ein Technologiemonopol in diesem Sektor haben, lehnten diese Entscheidung sofort ab und fanden auch in Berlin politische Unterstützung. Nach einem Urteil eines deutschen Gerichts vom vergangenen Juni, das den Kauf von Drohnen ausschloss Hergestellt in den USAWarum sie so ungenau waren, dass sie gegen die Einsatzregeln des Landes verstießen, schien die Angelegenheit abgeschlossen zu haben. Tatsächlich hat Schulz trotz der Skepsis der SPD grünes Licht für den Kauf der israelischen Drohnenflotte gegeben, was angesichts des Engagements Berlins in asymmetrischen Szenarien immer notwendiger wird.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die vorerst erzielte Einigung die von der letzten Merkel-Regierung eingeschlagene Richtung zu bestätigen scheint. Wenn SPD-Chef Martin Schulz als nächster Außenminister bestätigt wird, was angesichts seiner Erfolgsbilanz in Brüsseler Institutionen eine „natürliche“ Wahl ist, könnten wir eine noch tiefere Verteidigungskooperation auf der Achse Paris-Berlin als bisher angekündigt und eine größere Skepsis gegenüber sehen NATO (Trumps Wahl hat nicht geholfen, allein schon wegen der negativen Wahrnehmung, die die öffentliche Meinung in Deutschland bisher zu haben scheint). Offensichtlich gibt es in den kommenden Jahren mehrere Faktoren, die sowohl das Kräfteverhältnis innerhalb der Großen Koalition als auch die bisherigen strategischen Prioritäten verändern könnten. Die wahrscheinlich größten Variablen werden die Haltung Russlands gegenüber den Grenzen der EU und die Fähigkeit der amerikanischen Regierung sein, eine transatlantische Entfremdung zu vermeiden, wie sie nur in den Bush-Jahren erlebt wurde (in den letzten Monaten gab es einige Aktivisten seitens des Generalsekretärs der EU). der Born, Jens Stoltenberg, um diese Annahme abzuwenden). Deutschland ist eines der wenigen europäischen Länder, das es sich leisten kann, die Verteidigungsausgaben deutlich zu erhöhen, und da es nun den politischen Willen dazu hat, wird sich die Richtung, in die es geht, zwangsläufig auch auf die strategischen Entscheidungen auswirken, die wir auf kontinentaler Ebene treffen werden.

  

1 Die am stärksten involvierte, aber am wenigsten sensible europäische Regierung scheint die britische zu sein, die allein im Jahr 2017 der saudischen Regierung mehr als eine Milliarde Pfund Rüstungsgüter verkaufte.

(Foto: Bundeswehr)