Die Belagerung Berlins

(Di Federico Castiglioni)
09/06/18

Es versteht sich von selbst, dass die letzten beiden Jahre Angela Merkel nichts Gutes gebracht haben. Die jahrelang stärkste und stabilste Regierung Europas ist heute zunehmend gezwungen, die Grundpfeiler ihrer Außenpolitik und ihrer internationalen Position zu überdenken. An den Fehlern des „eisernen Kanzlers“ mangelt es nicht, auch wenn sich offenbar die gesamte Weltkonstellation gegen Deutschland verschworen hat und Merkel in eine ernsthafte diplomatische Isolation geführt hat, die nur teilweise von der ungestümen und unternehmungslustigen Persönlichkeit des französischen Präsidenten Macron verdeckt wird.

Alle internationalen Partner, die Berlin seit fast zehn Jahren nicht nur als Wirtschafts-, sondern auch als politische Hauptstadt Europas sehen, haben inzwischen verstanden, dass Angela Merkels Boot kurzfristig sinken könnte, und die Konsequenzen gezogen. Mein erster Gedanke geht nach Russland. Deutschland, das schon immer eine Tradition des Dialogs (und der Abhängigkeit von Energie) mit Moskau hatte, wurde nach den Ereignissen in der Ukraine unerwartet von seinen angelsächsischen Partnern und der NATO in einer zunehmend strafenden und sanktionierenden Position niedergeschlagen. Diese Position verursachte nicht nur einen Schaden für die deutschen Exporte in Höhe von mehreren Milliarden Euro, sondern führte auch zu einer wachsenden Distanz zum Kreml, die durch den bilateralen Gipfel in Sotschi im vergangenen Monat nicht überbrückt werden konnte. Eine weitere Front der deutschen Diplomatie ist die der USA. Donald Trumps Entscheidung, Sanktionen gegen die Europäische Union zu verhängen, richtet sich, wie der Präsident selbst zugibt, nur an Deutschland, das den Stahl und die Maschinen produziert, die die Handelsbilanz immer wieder ins Negative führen und die die Weißen seit Jahren beunruhigen Haus.

Die Beziehungen zwischen Washington und Berlin sind auf einem historischen Tiefpunkt. Trump hat seit seinem Amtsantritt keine Gelegenheit ausgelassen, die deutsche Außenpolitik aus unzähligen Gründen zu kritisieren: wegen des mangelnden wirtschaftlichen und militärischen Beitrags zur NATO (die deutsche Armee ist laut Telegraph am wenigsten kampfbereit in der NATO). Europa1), für die merkantilistische Handelspolitik, die dazu neigt, ihre Partner zu zerdrücken, für die kurzsichtige Austeritätspolitik in Europa.

Und gerade Europa, die letzte Säule, auf der Deutschland seinen Einfluss in der Welt aufgebaut hatte, bricht zusammen. Mit der Unterstützung Brüssels und der anderen westeuropäischen Regierungen könnte Angela Merkel die beiden Fronten, die russische und die amerikanische, immer noch effektiv verwalten und den Kontinent vereinen, indem sie den Vormarsch der Visegrad-Gruppe aus dem Osten aufhält. Heute ist das nicht mehr der Fall. Der Brexit war für Berlin besonders schmerzhaft, weil er die sozialen und wirtschaftlichen Kritikpunkte vieler, zu vieler Kompromisse signalisierte, die das Kanzleramt in den letzten Jahren vorangetrieben hatte und die kein anderes EU-Land jemals wirklich akzeptiert hat. Nun ist auch London plötzlich vom verlässlichen Verbündeten Berlins zum potenziellen Gegner geworden. Sollte das Brexit-Dossier sehr schiefgehen und die beiden Seiten des Ärmelkanals distanzieren, wird Deutschland sicherlich nicht in der Lage sein, nachzugeben und sich auf einen weiteren kommerziellen politischen Krieg einzulassen, der die Grundlagen, auf denen die Brexit-Fraktion ruht, nur noch mehr erschüttern wird Die gesamte deutsche Wirtschaft basiert darauf. Die sozialistische Regierung in Spanien und vor allem die neue italienische Regierung waren der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Durch die Europawahlen wird nun bestätigt und zu Papier gebracht, dass Deutschland um sich herum ein Klima der Spannung und Feindseligkeit geschaffen hat und dass der Antideutschismus auf dem Kontinent ein Comeback auf dem Niveau der Nachkriegszeit feiert. Die zunehmend verhasste und isolierte Angela Merkel versucht, aus der Ecke zu kommen, indem sie sich auf den letzten Partner verlässt, der ihr noch geblieben ist und der das lächelnde Gesicht von Präsident Emmanuel Macron hat. Doch für das Kanzleramt birgt die liebevolle Umarmung des Elysium möglicherweise eine tödliche Gefahr.

Tatsächlich hat die französische Unterstützung beim Brexit, im Handelskrieg mit den USA und Russland oder bei der diplomatischen Arbeit zur Milderung der wachsenden Feindseligkeit in der europäischen Arena einen sehr hohen politischen und wirtschaftlichen Preis. Seit dem Wahlkampf fordert Macron von Deutschland eine radikale Reform der europäischen Verträge, die es dem Euroraum ermöglichen würde, eine autonome Fiskalkapazität zu erlangen, die in der Lage wäre, eine expansive Wirtschaftspolitik durchzuführen. Ein erstes Ergebnis dieser epochalen Reform könnte darin bestehen, dass Berlin gezwungen wird, die in diesen Jahren des Wirtschaftswachstums angesammelten „Schatzmittel“ für europäische Projekte und Infrastrukturen auszugeben, die zur Wiederbelebung der kontinentalen Wirtschaft geeignet sind. Der zweite Effekt der Schaffung dieses Wirtschafts- und Finanzministeriums, der Merkel wirklich Sorgen bereitet, wäre eine wirksame Garantie für die angehäuften Schulden anderer europäischer Länder, die auf diese Weise niemals in die Gefahr einer Insolvenz geraten würden. Leider ist dies der schlechteste Zeitpunkt, um von den Deutschen die Bürgschaft für die Schulden von Ländern in Schwierigkeiten und insbesondere von uns Italienern zu verlangen.

Die neue Regierung in Rom scheint, nicht anders als viele Vorgänger, bereit zu sein, weiterhin für Sozialprogramme wie das Grundeinkommen auszugeben und diese mit einem höheren Defizit zu finanzieren, einem Defizit, das nur dank deutscher Garantien möglich ist. Ohne diese Garantien könnte Italien seine Schulden nicht weiter erhöhen. Gäbe es eine italienische Währung, etwa eine neue Lira, würden die Kosten dieser Sozialreformen durch die Inflation von den Italienern selbst bezahlt werden, aber da der Euro diese Möglichkeit nicht zulässt, können die Mittel nur aus einer höheren Staatsverschuldung kommen Die Wende wird gerade durch die europäischen Garantien, dass Italien nicht scheitern wird, nachhaltig gemacht. Die Schaffung eines europäischen Wirtschaftsministeriums würde eine Konkretisierung dieser Situation bedeuten: Italien wird weiterhin die von Deutschland beglichenen Schulden begleichen, ohne irgendetwas zu tun, um das Land zu verbessern, wie zum Beispiel zu versuchen, die 300 Milliarden Dollar der Schattenwirtschaft nach Hause zu bringen, die sie, wenn sie ans Tageslicht kommen, nach Hause bringen würden könnte unsere Nation wieder aufblühen lassen.

Deutschland ist von allen Fronten umzingelt und steht vor vielfältigen Entscheidungen, die für die deutsche Wählerschaft allesamt schwer zu verdauen sind. Wenn eine vollständige Beteiligung am europäischen Projekt Risiken und potenzielle Ungerechtigkeiten mit sich bringt, wie kann man sich dann vorstellen, den Handelskrieg mit dem amerikanischen Riesen ohne die Unterstützung der EU zu bewältigen? Und wenn andererseits in Europa eine harte Linie gewählt würde, selbst auf die Gefahr einer Implosion der Eurozone hin, unter welchen Bedingungen könnte anschließend ein Dialog mit Washington und Moskau geführt werden, ohne die Risiken eines Zusammenbruchs und noch größerer Risiken zu erwähnen? Isolation der deutschen Wirtschaft nach dieser Entscheidung? Unsicherheit und Moral Hazard betreffen auch das heikle Thema der Verteidigung. In Deutschland ist es tabu, über Armee und Verteidigung zu sprechen, und die Deutschen sind immer weniger dafür, ihre Truppen ins Ausland zu schicken oder die Ausgaben für diesen Sektor zu erhöhen. Doch die vielfältigen internationalen Spannungen lassen Berlin keine andere Wahl. Wenn Merkel den dringenden Forderungen der NATO nicht nachgibt, muss sie als Alternative die Pläne für eine immer stärkere Integration der europäischen Armeen in Betracht ziehen, um eine Außenpolitik von gemeinsamem Interesse zu entwickeln. Auch hinter diesem Plan steckt selbstverständlich eine französische Hand, die erwartet, in dieser neuen europäischen Verteidigungsunion eine Führungsrolle zu spielen.

Deutschland wird daher in eine Reihe gleichermaßen unhaltbarer Optionen gedrängt und muss sich bald für das kleinere Übel entscheiden, um einer völligen Isolation zu entgehen. Es bleibt unbekannt, wie viel Platz diese Überlegungen bei den derzeitigen Mietern des Palazzo Chigi finden. Wenn Italien zu sehr am Seil zieht, besteht die Gefahr, dass es sich in einem Zustand internationaler Isolation wiederfindet; So sehr unsere Herrscher auch versuchen, mit allen und insbesondere mit den Russen und Amerikanern befreundet zu sein, bleibt doch nicht verborgen, wie unsere geopolitische und wirtschaftliche Lage auf dem europäischen Kontinent ist. Die Tatsache, dass Berlin unter Belagerung steht, sollte uns nicht täuschen: Zwischen einem historisch und strukturell schwachen Land wie unserem und einem relativ bescheidenen BIP und Deutschland werden sich selbst unsere neuen Freunde im Weißen Haus oder im Kreml immer für den Dialog und die Geschäfte mit Deutschland entscheiden letztere. Die Fähigkeit dieser neuen Regierung wird daher darin gesehen, einen vernünftigen Kompromiss zu finden, der es uns ermöglicht, eine Position der Stärke innerhalb und nicht außerhalb des europäischen Kontexts zu finden. Ein Geschenk, das diplomatische, das vorerst im Widerspruch zur Zusammensetzung der neuen Regierung zu stehen scheint.